Xiaomi AI Brillen: Hype und Ernüchterung – Was können Smart Glasses wirklich?
Im Juni 2025 sorgten die Xiaomi AI Brillen für einen wahren Hype: In nur drei Tagen wurden 50.000 Stück verkauft. Mit einem attraktiven Einstiegspreis und vielversprechenden Funktionen wie Echtzeit-Übersetzung und KI-Assistenz schien Xiaomi den Markt für smarte Brillen im Sturm erobern zu wollen. Doch die anfängliche Euphorie ist Ernüchterung gewichen. Nutzer klagen über Mängel. Die entscheidende Frage bleibt: Sind wir bereit für die Zukunft, die uns hier präsentiert wird?
Der holprige Start der Xiaomi AI Brillen
Die Xiaomi AI Brillen traten mit hohen Ambitionen an und positionierten sich als direkter Konkurrent der Ray-Ban Meta Glasses. Ausgestattet mit einer 12-Megapixel-Kamera, einem leistungsstarken Qualcomm Snapdragon AR1-Prozessor, fünf Mikrofonen und integrierten Lautsprechern, versprachen sie ein technologisch fortschrittliches Erlebnis. Funktionen wie Objekterkennung, Echtzeit-Übersetzung in zehn Sprachen, Livestreaming und die tiefe Integration in Xiaomis Smart-Home-Ökosystem klangen nach einem Blick in die Zukunft. Doch die Realität holte die hohen Erwartungen schnell ein.

Berichten zufolge waren viele der ersten Käufer schnell frustriert. Ein Nutzer namens Li Cheng teilte seine Erfahrung auf der chinesischen Technologie-Website Sina: „Ich habe die Brille gekauft, um Fotos zu machen und Texte in Echtzeit zu übersetzen. Die Übersetzung war aber oft ungenau und die Kamera lieferte Bilder, die wie von einer alten KI restaurierte Fotos aussahen.“ Die KI-Übersetzung wies spürbare Verzögerungen auf und lieferte teilweise unzusammenhängende Ergebnisse, besonders bei komplexeren Sätzen. Der integrierte Assistent „Super Xiao AI“ gab an, einzelne Wörter zu erkennen, schien aber den Sinn ganzer Sätze nicht zu erfassen.
Übersetzungsprobleme: Der KI-Traum mit Haken
Die Echtzeit-Übersetzung war zweifellos eines der am stärksten beworbenen Features der Xiaomi AI Brillen. Die zugrundeliegende Technologie kombiniert optische Zeichenerkennung (OCR) mit einer fortschrittlichen Übersetzungs-Engine. Das klingt auf dem Papier beeindruckend, doch in der Praxis offenbarte sich die Schwäche. Nutzer berichteten von Verzögerungen von mehreren Sekunden, und die Übersetzungen stimmten oft nicht mit dem Originaltext überein. Besonders in dynamischen Umgebungen, wie beim Versuch, Untertitel in Videos oder Straßenschilder im Urlaub zu übersetzen, erwies sich die Funktion als kaum zuverlässig.
Zudem ist die Unterstützung von nur zehn Sprachen – darunter Englisch, Japanisch, Deutsch und Spanisch – ein limitierender Faktor im Vergleich zu Konkurrenzprodukten. Die Ray-Ban Meta Glasses bieten beispielsweise mittlerweile auch deutsche Live-Übersetzungen. Für den internationalen Markt, insbesondere außerhalb Chinas, mangelt es den Xiaomi AI Brillen an sprachlicher Anpassung, was die Nutzbarkeit zusätzlich einschränkt.
Kameraqualität: Nichts für Fotofans
Die 12-Megapixel-Kamera der Xiaomi AI Brillen sollte qualitativ hochwertige Videos in 2K-Auflösung bei 30 Bildern pro Sekunde sowie Fotos und Livestreams aus der Ich-Perspektive ermöglichen. Doch die Ergebnisse enttäuschten viele Nutzer. „Die Fotos sahen aus, als wären sie mit einer alten Kamera aufgenommen“, klagte Li Cheng. Die Kameraqualität leidet sichtbar unter einer suboptimalen Farbwiedergabe und mangelnder Schärfe, besonders bei Aufnahmen in Innenräumen oder bei schlechten Lichtverhältnissen. Für einfache Funktionen wie Livestreaming oder spontane Videokonferenzen mag die Kamera noch ausreichen, doch für anspruchsvollere Anwendungen bleibt sie deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Tragekomfort: Leicht, aber nicht leicht genug
Mit einem Gewicht von nur 40 Gramm sind die Xiaomi AI Brillen leichter als die Ray-Ban Meta Glasses (49 Gramm), was zunächst als Vorteil erscheinen mag. Dennoch klagten viele Nutzer über den Tragekomfort. Die Brillenbügel wirken aufgrund der verbauten Technik deutlich klobiger als bei herkömmlichen Brillen. Das Design, das primär für asiatische Gesichtsformen optimiert wurde, passte nicht allen Nutzern optimal. Einige beschrieben das Tragen der Brille als „lästige Fesseln auf dem Nasenrücken“, besonders bei längerem Gebrauch. Zudem führt der hohe Energieverbrauch der Brille dazu, dass sie sich bei intensiver Nutzung spürbar erwärmt, was den Komfort weiter beeinträchtigt.
Akkulaufzeit und technische Hürden
Ein weiteres signifikantes Problem stellt die Akkulaufzeit dar. Während Xiaomi eine Laufzeit von bis zu 8,6 Stunden angibt, reduziert sich diese bei aktiver Videoaufnahme auf nur etwa 45 Minuten. Dies zwingt die Nutzer zu häufigem Aufladen, was die gewünschte „Always-On“-Fähigkeit, die für ein nahtloses Erlebnis entscheidend ist, stark einschränkt. Xiaomi hat zwar mit seinem Vela-System versucht, dieses Problem durch eine heterogene Dual-Core-Architektur zu lösen, die stromsparende und leistungsstarke Prozesse trennt. Dennoch bleibt die Akkulaufzeit ein Schwachpunkt, bedingt durch die Kapazität von etwa 300 mAh, die aufgrund des geringen Gewichts limitiert ist.
Vergleich mit der Konkurrenz
Im direkten Vergleich mit den Ray-Ban Meta Glasses bieten die Xiaomi AI Brillen einige Vorteile, wie den günstigeren Preis (ab ca. 250 Euro gegenüber etwa 300 Euro für die Meta-Brille) und die Integration in Xiaomis etabliertes Smart-Home-Ökosystem. In puncto Übersetzung und Kameraqualität hat jedoch Meta die Nase vorn, insbesondere nach dem jüngsten Update, das deutsche Live-Übersetzungen ermöglicht. Des Weiteren fehlt den Xiaomi AI Brillen ein integriertes Display. Dies unterscheidet sie von fortschrittlicheren AR-Lösungen wie der Viture Pro XR oder Rokid AR Spatial, die virtuelle Bildschirme und deutlich immersivere Erlebnisse bieten.
Ein Blick in die Zukunft
Trotz der Kritik hat Xiaomi mit seinen AI Brillen einen wichtigen Schritt in einen wachsenden Markt getan. Der Markt für smarte Brillen in China verzeichnete im ersten Quartal 2025 ein Wachstum von 200 %. Mit 50.000 verkauften Einheiten hat Xiaomi bereits einen bedeutenden Marktanteil gesichert. Die beobachtete Rückerstattungswelle zeigt jedoch deutlich, dass die Technologie noch nicht ausgereift ist. Für eine breitere Akzeptanz auf dem internationalen Markt wären Anpassungen unerlässlich, beispielsweise bei der Sprachunterstützung und der Ergonomie für unterschiedliche Gesichtsformen.
Die Xiaomi AI Brillen sind ein mutiger Versuch, smarte Brillen massentauglich zu machen, aber sie stoßen an die Grenzen der aktuellen Technologie. Für Nutzer, die primär einfache Audiofunktionen suchen, könnten Alternativen wie die Xiaomi Mijia Smart Audio Glasses 2, die sich auf Musik und Anrufe konzentrieren, attraktiver sein. Wer jedoch eine vollwertige AR- oder KI-Erfahrung erwartet, sollte vielleicht auf Xiaomis nächste Generation warten, die für das zweite Quartal 2025 angekündigt wurde.
Fazit: Hype trifft auf Realität
Die Xiaomi AI Brillen verdeutlichen eindrucksvoll das Potenzial smarter Brillen – aber auch, wie weit die Technologie noch von der Perfektion entfernt ist. Die Kombination aus innovativen Funktionen und einem attraktiven Preis macht sie auf dem Papier verlockend. Doch Schwächen bei der Übersetzung, der Kameraqualität und dem Tragekomfort bremsen den Erfolg erheblich. Smarte Brillen sind noch nicht bereit, unseren Alltag grundlegend zu verändern. Für Technikbegeisterte bleibt die Weiterentwicklung spannend – doch bis dahin sind die Xiaomi AI Brillen eher ein vielversprechendes Experiment als ein unverzichtbares Must-Have.